Sehr geehrte Damen und Herren,
viele Sportler haben Probleme mit Leiste, Adduktoren oder Hüftgelenk. Es trifft nicht nur Fußballer, wenngleich statistisch gesehen sehr viele während der sportlichen Laufbahn mit derlei Beschwerden zu kämpfen haben; Fußballer übrigens mehr als Fußballerinnen. Die Ursachen sind vielfältig, was eine differenzierte und korrekte Diagnose durchaus zu einer Herausforderung werden lassen kann. Welche Sportler besonders gefährdet sind, warum eine manuelle Untersuchung unverzichtbar erscheint und welche Maßnahmen helfen, die oftmals wiederkehrenden Beschwerden in den Griff zu bekommen, beschreibt Dr. med. Peter Ueblacker im aktuellen GOTS-Newsletter.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Andreas Bellinger, GOTS-Pressesprecher presse@gots.org
Nur noch ein paar Tage, dann ist es soweit: Der 32. Jahreskongress der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS) findet vom 22. bis 24. Juni 2017 im Grand Hotel Esplanade in Berlin statt. Eine Fülle spannender und informativer Vorträge zu den Hauptthemen Leistenschmerz, vorderes Kreuzband, Platelet Rich Plasma (PRP), Rehabilitation von Sportverletzungen, Sportwissenschaft und Frauenfußball stehen auf dem Programm. Ehrengast der Veranstaltung ist Prof. Dr. med. Per Hölmich aus Dänemark. Der Orthopäde und Chirurg vom University Hospital Hvidovre in Kopenhagen gilt als einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Leistenbeschwerden. Bereits am PreDay (22. Juni 2017) erwarten Sie interdisziplinäre Workshops und ein eigenes Programm der Young Academy. Mehr Informationen entnehmen Sie bitte der Kongresswebsite (www.gots-kongress.org) sowie dem Hauptprogramm, das Sie unter www.gots-kongress.org/wp-content/uploads/2017/03/GOTS17_Hauptprogramm_17.03.17.pdf herunterladen können.
Wir möchten Sie auf fünf Veranstaltungen hinweisen: Schultererkrankungen in Diagnostik und Therapie sind am 7. und 8. Juli 2017 das Thema beim Schulterkurs III – Arthroscopy meets MRI in Tübingen. Am 15. Juli 2017 findet in Heidelberg das 7. Sportmedizin Symposium: Frau und Sport statt. Schwerpunkte des 8. Zeulenrodaer Kongress der Orthopädie und Sportorthopädie sind vom 31. August bis 2. September 2017 Verletzungsprävention im Sport sowie Sport im Alter. Außerdem verweisen wir auf den 4. Sommerkurs Sportmedizin (www.sportmedizin-kurse.de) vom 10. bis 15. Juli 2017 in Garmisch-Partenkirchen sowie das First Open Meeting ESSKA-ESMA (esma-conference.org) am 3. und 4. November 2017 in München. Weitere Informationen enthalten die Flyer im Anhang dieses GOTS-Newsletters.
Beschwerden im Bereich der Leiste, der Adduktoren bzw. Hüftgelenke treten im Sport häufig auf und können unterschiedlichste Ursachen haben. Insgesamt machen sie zwei bis fünf Prozent aller Sportverletzungen aus (Sedaghati et al. 2013). Zu finden sind sie vor allem in Sportarten mit Stop-and-Go-Belastungen, schnellen Scher- und Drehbewegungen (vor allem im Einbeinstand) und Kehrtwendungen. Im Profifußball sind sie verantwortlich für etwa 14 Prozent aller verletzungsbedingten Ausfälle (Ekstrand et al. 2011). Die Prävalenz ist – zumindest in der Zeit höherer Wettkampfbelastung – mit 29 Prozent bei Männern und 10 Prozent bei Frauen im Fußball sehr hoch (Harøy et al. 2017).
Leistenbeschwerden sind oft multifaktoriell bedingt und nicht zuletzt aufgrund der komplexen Anatomie dieser Region in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht meist eine Herausforderung. Aufgrund der vielfältigen Ursachen von Leistenbeschwerden ist es auch aus differentialdiagnostischen Überlegungen heraus sinnvoll, topografische Kategorien zu bilden.
Eine kürzlich erschienene Metastudie zählt die häufigsten Ursachen von Leistenbeschwerden von Sportlern folgendermaßen auf (de Sa et al. 2016):
(modifiziert aus: „Sportverletzungen“, M. Engelhardt (Hrsg.), Urban & Fischer, 3. Auflage, 2016):
Wichtigste diagnostische Maßnahmen für eine differenzierte und korrekte Diagnose sind Anamnese und eine klinische Untersuchung, gefolgt von bildgebenden Untersuchungen in Form von Kernspintomographie (MRT), gegebenenfalls Röntgen und Sonographie. Ein eingehendes Verständnis der komplexen Anatomie und Pathophysiologie, insbesondere auch der biomechanischen Verbindungen mit der Bauchmuskulatur, sind dringende Voraussetzung. Nur durch eine eingehende klinische Untersuchung sind die Beschwerden genau zu erfassen.
Dabei kann keine bildgebende Technik eine präzise Untersuchung hinsichtlich Schmerzlokalisation, Muskeltonus, Bewegungsumfang der Gelenke, Kraft im Seitenvergleich, Gelenkblockierungen etc. ersetzen. Dennoch hilft eine hochauflösende Bildgebung, die in Kenntnis der klinischen Befunde interpretiert wird, die Diagnose weiter zu präzisieren. Manchmal zeigen sich insbesondere im MRT falsche positive Befunde, wie beispielsweise ein (asymptomatisches) Ödem in der Symphyse (Schambeinfuge) oder der Muskulatur, die ohne klinische Untersuchung als „Symphysitis/Osteitis pubis“ oder als „Muskelverletzung“ interpretiert werden, obwohl sie klinisch irrelevant sind.
Es gibt zahlreiche, in der Literatur beschriebene Untersuchungstechniken (Waldén und Hölmich 2017). Zu den wichtigsten gehören: eingehende Palpation (manuelle Untersuchung) mit Lokalisation der schmerzhaften Region, Palpation der Sehnen, Palpation der Muskulatur hinsichtlich Tonusentgleisungen, dynamische Krafttests wie zum Beispiel Adduktion gegen Widerstand in Hüftextension und -flexion, Untersuchungen des Bewegungsumfangs und Impingementtests der Hüftgelenke, der Thomas-Test, die klinische Untersuchung der Leistenkanäle und der Lendenwirbelsäule sowie andere Leisten-spezifische Tests wie der kürzlich publizierte „Copenhagen five-second squeeze“-Test (Thorborg et al. 2017).
Eine differenzierte Diagnose entscheidet über die richtige Therapie. Die überwiegende Anzahl der Verletzungen an Leiste, Hüftgelenken und Adduktoren kann konservativ behandelt werden, wie zum Beispiel auch eine komplette Avulsionsverletzung (Ausrissverletzung) der M. adductor longus-Sehne mit Retraktion (Ueblacker et al. 2016), während komplette Avulsionsverletzungen der Rectus femoris-Sehne bei entsprechender Retraktion operativ refixiert werden sollten (Ueblacker et al. 2015). Der Grund liegt unter anderem darin, dass der Rectus femoris über zwei Gelenke zieht, der Adductor longus aber ein eingelenkiger Muskel ist. Im Falle einer sehnigen Ausrissverletzung des Adductor longus kommt es bei richtigem Vorgehen zu einer funktionell suffizienten Defektheilung.
Einn femoroacetabuläres Impingement sollte, bei entsprechenden Befunden und nach erfolgloser konservativer Therapie, operativ durch Arthroskopie des Hüftgelenks therapiert werden. Eindeutig dem Leistenkanal zugeschriebene und konservativ erfolglos therapierte Probleme sollten ebenfalls operativ angegangen werden. Die klinische Erfahrung zeigt aber leider, dass Patienten mit Leistenbeschwerden mitunter vorschnell am Leistenkanal operiert werden, obwohl eine Hernie oder „weiche Leiste“ gar nicht für die Probleme verantwortlich zu machen sind. Sekundär stellen sich diese Patienten dann nach „erfolgreicher Operation“ mit unveränderten Beschwerden wie präoperativ zur erweiterten Untersuchung und Behandlung vor. Meist ergibt sich dann eine für die eigentlichen Probleme verantwortliche Diagnose.
Im Fußball beträgt die durchschnittliche Ausfallzeit bei Leistenschmerz 15 bis 19 Tage, der statistische Mittelwert liegt bei 9 Tagen (Ekstrand 2017). Beschwerden im Hüft-/Leistenbereich neigen häufig zu Rezidiven, im Fußball liegt die Reverletzungsrate bei 29 Prozent (Ekstrand 2017). Umso mehr muss durch einen individuellen Therapie- und Rehabilitationsplan eine bestmögliche Versorgung gewährleistet sein. Auch ist die konsequente Durchführung von Präventionsmaßnahmen, wie beispielsweise rumpfkräftigende Übungen, nachgewiesenermaßen wichtig und sinnvoll.
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Ueblacker ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Seit 2008 ist er Partner in der Praxis für Orthopädie und Sportmedizin von Dr. med. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Von 2009 bis 2015 war er zudem Mannschaftsarzt des FC Bayern München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Muskelverletzungen im Sport. Er ist Mitherausgeber des gleichnamigen Buches, das im Thieme-Verlag erschienen ist und auf Englisch, Japanisch und Taiwan-Chinesisch übersetzt worden ist. Ueblacker war unter anderem auch als Experte im Rahmen des „Football Doctor Education Program“ der Europäischen Fußball-Union UEFA im Bereich Muskelverletzungen tätig.
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