Sehr geehrte Damen und Herren,
ein Riegel hier, ein Pülverchen dort: Nahrungsergänzungsmittel (NEM) sind bei Sportlern beliebt – egal ob Hobby-, Leistungs- oder Spitzensportler. Manch einem scheinen sie sogar unverzichtbar zu sein. Exakte Zahlen liegen zwar nicht vor, aber Befragungen lassen vermuten, dass allein rund 80 Prozent der Spitzensportler zu NEM greifen. Doch was bringen diese zusätzlich verabreichten Mittel? Welche Möglichkeiten bieten sie und welche Gefahren lauern? Welche Beweggründe haben die Sportler? Dr. med Jan Wüstenfeld und Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth erklären im aktuellen GOTS-Newsletter auch, wie sich Sportler davor schützen können, durch verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel des Doping-Missbrauchs überführt zu werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Andreas Bellinger, GOTS-Pressesprecher presse@gots.org
Wir möchten Sie zudem auf folgende Veranstaltungen hinweisen:
07. – 08. Juli 2017 in Tübingen: Schulterkurs III – Arthroscopy meets MRI. Dieser Kursus ist in diesem Jahr live auch Online zu verfolgen. Bitte melden Sie sich an unter: www.mrt-ask.de.
19. – 21. Juli 2017 in Würzburg: 94. Jahrestagung der Vereinigung der Bayerischen Chirurgen e.V. (www.vbc2017.de)
08. – 10. September 2017 in Wien: 2. Allgemein- und Sportmedizinisches Symposium der ÖMGGT (www.oemggt.org)
16. September 2017 in Differdange/Luxemburg: Medical and trainig aspects in Handball (www.handball-congress.lu)
13. – 15. September 2017 in München: 25th Annual Meeting of the European Orthopaedic Research Society der EORS und der Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Ludwig-Maximilians-University (LMU) (www.eors2017.org)
Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) ist im Sport eher die Regel als eine Ausnahme. Das sollte allen im Bereich des Sports tätigen Sportmedizinern spätestens seit der Untersuchung von Braun und Kollegen aus dem Jahr 2009 klargeworden sein. Diese konnten in einer Befragung von 164 Athleten aus A- bis D-Kadern zeigen, dass 80 Prozent der Befragten mindestens ein NEM einnehmen. Diese Erkenntnis wurde durch verschiedene Studien bestätigt, in denen Leistungssportler unterschiedlichen Leistungsniveaus (bis hin zu Olympia-Teilnehmern, deren Angaben auf Doping-Kontrollformularen analysiert wurden) sowie der Sportartenbezug und das Alter (von Schülern auf Eliteschulen des Sports bis hin zu Nationalspielern) untersucht wurden.
Der prozentuale Anteils der Sportler, die Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, schwankt zwar zwischen 34 Prozent (Breuer 2013) und 91 Prozent (GOAL Studie), ist aber unabhängig vom relativen Anteil als insgesamt sehr hoch einzuschätzen. In den meisten Fällen gaben Sportler außerdem an, mehr als ein NEM einzunehmen – was in extremen Fällen sogar bis zur Einnahme von 26 unterschiedlichen Präparaten bei einem Olympia-Teilnehmer reichte (Corrigan 2003).
Wie hoch der Anteil an Hobbysportlern ist, die regelmäßig NEM zu sich nehmen, lässt sich valide nicht bestimmen, dürfte jedoch gemäß vorliegender Studien und Erhebungen ebenfalls im Bereich zwischen 30 bis 50 Prozent liegen (Sammito, 2011, Max Rubner-Institut 2008). Experten schätzen, dass bundesweit etwa 20 Prozent der mehr als sieben Millionen Besucher von Fitness-Studios nicht nur NEM, sondern auch (verschreibungspflichtige) Anabolika, Wachstumshormone und andere Dopingmittel konsumieren (Kläber, 2010).
nsgesamt muss bei der Beurteilung der Gründe für die Einnahme dieser Mittel aber auch die Auswirkung der Werbung für NEM im Sport betrachtet werden. Es ist ein weltweit riesiger Markt mit den entsprechenden wirtschaftlichen Mechanismen und Umsätzen. Hinzu kommen das Konsumverhalten anderer Sportler sowie der hohe Erfolgsdruck. Tatsächlich lässt sich ein supplementationswürdiger Nährstoffmangel – insbesondere hinsichtlich der Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente) – wissenschaftlich nicht belegen.
Eine Ausnahme bilden möglicherweise Sportler, die:
Die in der Studie von Faude et al an 23 deutschen Kadersportlern gefundene Unterversorgung von Vitamin D, Folsäure und Jod scheint nach Aussage der Autoren eher ein allgemeines, denn ein sportbedingtes Problem zu sein. Inwiefern eine Unterversorgung bei Sportlern mit antioxidativen Vitaminen, Zink, Kalium, Calcium und Vitamin B6 bestehen kann, sollte im Einzelfall geklärt werden; sie kann aktuell nicht generell als sportbedingte Mangelversorgung angenommen werden (Faude, 2005).
Besonderheiten hinsichtlich der Ernährung bei Sportlern im Vergleich zu nicht sporttreibenden Normalpersonen ergeben sich vielmehr durch den im Allgemeinen höheren Energie- und Flüssigkeitsbedarf des Sportlers, der durch eine erhöhte Aufnahme von Kohlenhydraten und Proteinen sowie einer höheren Trinkmenge ausgeglichen werden muss. Allerdings muss dabei der sportartspezifische und individuelle Mehrbedarf kritisch betrachtet werden, da eine Kompensation des Mehrbedarfs zum einen häufig überschätzt wird, und zum anderen in der Regel problemlos über eine geeignete Lebensmittelauswahl gewährleistet werden kann. Spezielle Nahrungsergänzungsmittel in Form von „Energiedrinks“, „Pulvern“ oder ähnlichem müssen dafür nicht konsumiert werden.
Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass eine gesunde, abwechslungsreiche und vielfältige Ernährung auch bei Sportlern und Hochleistungssportlern ausreichend ist, um den notwendigen Makro- und Mikronährstoffbedarf zu decken. Da jedoch kein Lebensmittel alle Nährstoffe enthält, die der Körper benötigt, muss die Kombination verschiedener Lebensmittel gewährleistet sein. Dabei gilt grundlegend: Je abwechslungsreicher die Lebensmittel und Sorten (zum Beispiel bei Obst, Gemüse und Getreideprodukten) ausgewählt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass alle notwendigen Nährstoffe abgedeckt werden.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) empfiehlt in seiner Info-Broschüre „Nahrungsergänzungsmittel“ im Rahmen der Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) auch für Sportler und Hochleistungssportler:
Hinweise zum gezielten Einkauf von geeigneten Lebensmitteln für Athleten sowie unter anderem Informationen zu Ernährungsberatungen finden sich außerdem auf der Homepage des DOSB beziehungsweise in den weiterführenden Informationen der Broschüre „Nahrungsergänzungsmittel“ (https://www.dosb.de/fileadmin/fm-dosb/arbeitsfelder/leistungssport/Konzepte/NEM_Broschuere-web_14-7-2014_Doppelseitig.pdf).
Der Einsatz von NEM ist nicht generell abzulehnen. Zum Erhalt der Leistungsfähigkeit existiert eine umfangreiche wissenschaftliche Evidenz, dass eine optimale Flüssigkeits- und Makronährstoffversorgung rund um und während der Belastung äußerst wichtig ist. In diesem Zusammenhang können Nahrungsergänzungsmittel, wie Isogetränke, Kohlenhydrat- und Proteinkonzentrate durchaus nützlich sein.
Unter anderem können Flüssigkeitsdefizite, insbesondere bei Belastungen von mehr als 60 Minuten Dauer, in ihrer Wirkung die Leistung beeinträchtigen. Daher sollte auf eine ausreichende Hydration bereits vor dem Start geachtet werden, und aktivitätsbedingte Schweißverluste möglichst rasch oral ersetzt werden. Nach Empfehlungen des American College of Sports Medicine (2007) sollten 400 bis 800 ml/h getrunken werden.
Dazu eignen sich isotone Getränke in Form von Pulver- oder Brausetabletten. Sie sollen pro Liter rund 80 g Zucker (Glucose, Saccharose, Fructose, Maltodextrine) und mindestens 400 mg Natrium enthalten. Andere Elektrolyte wie Magnesium, Kalium und Calcium oder auch wasserlösliche Vitamine können, müssen aber nicht zugesetzt sein (DOSB 2014). Fruchtsaftschorlen mit natriumreichem Mineralwasser im Mischungsverhältnis von eins zu eins sind zum raschen Flüssigkeitsersatz ebenfalls geeignet.
Bei Belastungen von mehr als 60 bis 120 Minuten Dauer ist eine Kohlenhydratzufuhr von 30 bis 60 g/h ratsam; bei mehr als 120 Minuten Dauer erhöht sich die Menge auf 60 bis 80 g/h (Smith 2010). Längerandauernde Belastungen wie beispielsweise ein Marathon oder Triathlon – zumal bei niedrigen Temperaturen – machen mitunter die Aufnahme größerer Kohlenhydratmengen notwendig. Alternativ können aromatisierte Energy-Gels verwendet werden, die Kohlenhydrate unterschiedlicher Kettenlänge sowie Zusätze von Elektrolyten, Vitaminen, Aminosäuren und/oder Coffein enthalten.
Sollten weniger als acht Stunden zur Regeneration möglich sein, ist zwecks schnellen Auffüllens der Glycogenreserven darauf zu achten, binnen der ersten vier Stunden 1,2 bis 1,5 g Kohlenhydrate/kg/h zuzuführen. Eine Alternative sind 0,8 g Kohlenhydrate/kg/h in Kombination mit 0,2 bis 0,4 g Proteinen/kg/h (Beelen, 2010).
Die Zufuhr von Proteinen zum Aufbau und der Erhaltung von Muskelmasse empfiehlt das American College of Sports Medicine (2009) Sportlern in einer Menge von 1,2 bis 1,7 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag (g/kg/d). Dies wird im Rahmen einer ausgewogenen Mischkost üblicherweise erreicht, wenn nicht sogar überschritten, sodass Supplemente nicht erforderlich sind (DOSB 2014).
Sollten Proteine direkt im Anschluss an Kraftbelastungen oder andere kurze, intermittierende Belastungen zugeführt werden, kann das Ausmaß von Muskelschäden vermindert werden. Aufgrund des höheren Gehalts an essentiellen Aminosäuren sollten tierische Proteine gegenüber pflanzlichen bevorzugt werden. Da die Aminosäurenabsorption aus flüssigen Proteinquellen schneller erfolgt als aus festen, eignen sich fettarme Milch und Kakao gut als Eiweißlieferanten zu Beginn der Regenerationsphase (Cockburn, 2013).
Eine partielle Wirksamkeit von Mikronährstoff-NEM zur Leistungssteigerung kann und soll nicht unerwähnt bleiben. In diesem Zusammenhang soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass Mikronährstoffe – auch vor dem Hintergrund ihrer Wirksamkeit – nicht zur Verwendung im Nachwuchsleistungssport (und Breitensport) empfohlen werden und nur nach ausführlicher Beratung durch einen entsprechend geschulten Sportmediziner oder Ernährungsberater im Einzelfall Verwendung finden sollten.
Eine unter Umständen leistungssteigernde Wirkung konnte für Koffein im Ausdauerbereich, Kreatin im Kraftsport und Natriumbicarbonat (zum Beispiel im Sprint) gezeigt werden. Unklar bleibt derzeit noch die Wirkung von Nitrat Beta-Hydroxy-Beta-Methylbutyrat einzustufen, das vorzugsweise von Kraftsportlern und Bodybuildern genutzt wird. Für die übrigen gängigen NEM, denen eine leistungsfördernde Wirkung nachgesagt wird, gibt es keinen wissenschaftlich fundierten Nachweis der Wirksamkeit.
Es gibt Hinweise darauf, dass der unüberlegte Gebrauch von NEM kontraproduktiv in Bezug auf Trainingsreizwirksamkeit, Regenerationsfähigkeit und somit letztlich auch die Leistungsfähigkeit wirken kann. Insbesondere die unreflektierte und nicht selten hochdosierte Einnahme antioxidativer Vitamine ist kritisch zu bewerten. Der Grund dafür ist, dass eine extern induzierte Reduktion freier Radikale dem Nutzen als Signalgeber für die trainingsinduzierte Anpassungsreaktion in den Muskelfasern (Powers, 2011) zuwiderläuft.
Gomez-Cabrera et al. (2008) konnten in einer Studie zeigen, dass eine tägliche Einnahme von 1 g Vitamin C über zwei Monate den VO2max-steigernden Effekt eines regelmäßigen Ausdauertrainings praktisch verhindert. (VO2max bezeichnet die Menge an Sauerstoff, die maximal aufgenommen und während einer bestimmten Zeit umgesetzt werden kann.) Für eine vorübergehende Einnahme von Vitamin C im Rahmen von Infekten oder maximaler körperlicher Belastungen ist die Datenlage differenziert zu betrachten. Der Einsatz kann aber in bestimmten Situationen (beispielsweise einem akuten Infekt) durchaus sinnvoll sein (Hemilä, 2013).
Ein nicht zu unterschätzendes Problem bei NEM ist die Möglichkeit der Kontamination durch dopingrelevante Substanzen. Geyer und Kollegen wiesen bereits im Jahr 2004 in einer Studie von 634 NEM nach, dass in 14,8 Prozent der getesteten Produkte (Vitamine, Mineralstoffe, Kreatin etc.) dopingrelevante Substanzen (meist Hormone und Prohormone) zu finden waren, die nicht auf dem Etikett angegeben worden waren.
NEM können produktionsbedingt mit dopingrelevanten Substanzen verunreinigt sein. Es ist letztlich jedoch nicht auszuschließen, dass Hersteller NEM – möglicherweise sogar absichtlich – verbotene Substanzen zusetzen, ohne diese zu deklarieren. Neben einer Verunreinigung mit Prohormonen muss auch mit einer Kontamination durch Anabolika, „Designerdrogen“ (z. B. Cannabinoide) und Beta-2-Agonisten (Geyer et al. 2008) sowie Stimulanzien wie Ephedrin und Methamphetamin (de Hon, 2007) gerechnet werden.
Um das Risiko der Kontamination mit nicht deklarierten Substanzen zu minimieren, sollten Nahrungsergänzungsmittel nur aus vertrauenswürdigen Quellen ohne Verunreinigungs-Risiko (Produkte nach Chargentestung im Anti-Doping-Labor) beziehungsweise mit einem minimalen Dopingrisiko bezogen werden. Nützliche Informationen liefert die sogenannte Kölner Liste (www.koelnerliste.com).
Risikolose Produkte, die den Nahrungsergänzungsmitteln ähnlich sind (z.B. Vitamine), können auch in der Roten Liste gefunden werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Einnahme von NEM prinzipiell nicht kritiklos nach dem Prinzip „viel hilft viel“ und „wird schon nicht schaden“ erfolgen sollte. Auf jeden Fall ist eine fundierte und indikationsgerechte Beratung zwingend notwendig, weil:
Aufgrund des unübersichtlichen Marktes von Produkten und Anbietern sei zudem auf die Richtlinien von Williams et al. (2012) zur Einschätzung von Nahrungsergänzungsmitteln verwiesen, die eine einfache aber praxisrelevante Hilfe zur Bewertung der Vertrauenswürdigkeit von NEM darstellen:
Wenn auch nur eine dieser zwölf Fragen mit „Ja“ beantwortet wird, ist Skepsis geboten! Egal ob Hobby-, Leistungs- oder Spitzensportler – jeder sollte in diesem Fall dringend zusätzliche Informationen einholen und sich keinen Gefahren aussetzen und unnötig Geld ausgeben.
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